Früher, da hätte ich noch felsenfest behauptet, dass Dinge, die man nicht richtig sehen und nicht richtig fühlen und nicht richtig anfassen kann, auch keinen nennenswert großen Platz beanspruchen.

Inzwischen weiß ich, dass das quatsch ist – um nicht zu sagen quätscher.

Regeln (und Regeln kann man total schlecht sehen und anfassen – nur fühlen kann man sie gut) brauchen so was von viel Platz, dass es kaum beschreibbar ist. Ich meine jetzt nicht die Regeln, die uns die Welt vorgibt. Also beispielsweise, dass etwas nach unten fällt, wenn man sie loslässt.
Ich meine die Regeln, die sich Menschen ausdenken, wenn sie in der Regel-Hierarchie nach oben poppen und selbst zum Regler werden. Diese Regeln werden immer mehr. Schon seit tausenden von Jahren. Es gibt kaum welche, die man noch erfinden könnte. Zumindest keine sinnvollen. Und deshalb hat der Mensch sich etwas Neues ausgedacht. Er erfindet Regel-Methoden um neue Regeln zu erstellen. Das hört sich jetzt super blöd an, ich weiß. Aber es ist so.
Und auch die Worte, die man für diese Methoden zum Regelerstellen gefunden hat, klingen sehr untoll: Evaluierung, Evaluation.
Klingt wie Evolution – ist aber irgendwie das Gegenteil.

Weshalb Menschen so was machen, ich meine das Evaluieren, das hat viele Gründe.
Einer dieser Gründe ist, dass das 'neue unnötige Regeln regeln' wenigstens ansatzweise den Eindruck erwecken soll, es könne sinnvoll und gut sein. Wegen der Akzeptanz. Das geht zwar nicht wirklich. Aber mit Evaluieren geht es doch. Ein bisschen. Das Evaluieren ist übrigens selbst eine Regel. Sozusagen ein Doppelding. Eine Methode und eine Regel zugleich. Und mit ihr wird belegt, dass die neue Regel gut ist. Weil man das zu Regelnde nun evaluiert hat. Ist nicht ganz logisch, wird aber so geschluckt.

Früher hat man nix evaluiert. Da hat man einfach nachgedacht – Verantwortung übernommen – sich begeistert – kritisiert – gelitten – erahnt – versagt – sich gestritten – Kompromisse gemacht – Fehlentscheidungen getroffen – klug gehandelt – sich gefreut – verzichtet – gehofft – etwas eingesehen – dazugelernt – vertraut – Erfahrungen gesammelt – missbilligt – analysiert – Altes verworfen – geliebt – das Gegenteil für besser befunden – Beharrlichkeit an den Tag gelegt – Mehrheiten gebildet – Fehler eingestanden – aus dem Bauch heraus entschieden – abgewartet – Nachsicht geübt – vermutet – Angst gehabt – räsoniert – bedauert – sich seines Verstandes bedient ... ich mag gar nicht aufhören mit dem Aufzählen, weil das alles so schön menschlich ist.
Jedenfalls ist für so was (humanes) nicht mehr viel Platz – heute. Wegen der Regeln und dem Evaluieren.
Heute wird sogar, weil man das so evaluiert hat, kluges und erfolgreiches Denken und Handeln durch Regeln geregelt. Der Mensch wird quasi genötigt und gezwungen undumm zu handeln. Obwohl doch die Dummheit zuweilen das Schönste und Menschlichste an uns ist.
Dass all das Menschliche kaum noch Platz hat, und durch Evaluieren und Regeln nicht wirklich ersetzt werden kann, das wird man eines Tages feststellen. Da bin ich mir ganz sicher.
Die Menschen, die ich täglich treffe sehen jedenfalls nicht so aus, als könne man in einer exzessiv evaluierenden Gesellschaft schöner und glücklicher leben.

Deshalb hab ich eine – bestimmt noch etwas hinkebeinige, weil nicht evaluierte – Platzregel erstellt: Die Regler- und Evaluierer-Population in einer Gesellschaft steht im umgekehrten Verhältnis zu dem, was dem Menschen das Leben lebenswert macht. Weil beim Regeln und Evaluieren einfach kaum Platz bleibt, etwas scheinbar sinnlos Schönes zu tun und unperfekt Mensch zu sein. Und deshalb, weil es in der Natur des Menschen liegt mehr zu sein, als ein 'optimales und entsprechendes Evaluat' – oder vorzugsweise Taten zu vollbringen, die einer Evaluierung standhalten.

Vielleicht hat die nächste Generation – die Jugendlichen, die sich neuerdings kollektiv die Hucke zusaufen – genau das erkannt. Man ist aber bestimmt schon dran. Das werden wir ja mit Sicherheit noch evaluiert und geregelt kriegen – oder?

 

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