Inzwischen bin ich mir absolut sicher. Es gibt ein unglaublich großes soziales Gefälle bei den Hühnern. Wie beim Menschen ist auch beim Huhn der Stallgeruch entscheidend. Er bestimmt die Güte der Lebensumstände. In diesem Falle der Lege-Umstände.

Da der Mensch dazu neigt, nur die Tierchen zu füttern und am Leben zu erhalten, die ihm von Nutzen sind oder Freude bereiten, hat sich das Huhn auf das Eierlegen spezialisiert. Das ist schlau. Wenn man keine Milch geben kann und nicht mit dem Schwanz wedeln, Gassi gehen oder ein Hamsterrad treten, dann ist das Legen von Eiern eine echt gute Überlebensstrategie.
In meinem Lebensmittelmarkt gibt es Eier in vier Preisklassen.
Zehn Eier für 0,89 €
Zehn Eier für 1,29 €
Zehn Eier für 1,89 €
Zehn Eier für 2,69 €
Die Preise sind ein klares Indiz für die real existierende Vier-Klassen-Hühnergesellschaft.
Da gibt es das gemeine Proletarier-Huhn. Es lebt im Jenseits einer hühnerwürdigen Existenz. Unterbezahlt, also schlecht gefüttert, schlecht behaust (das arme Ding lebt im Käfig) und sozial unterstufig, ist es sozusagen der Ein-Euro-Jobber unter dem Legevieh.
Dann gibt es das einfache und das gehobene Mittelstands-Huhn. Das eine lebt auf dem Boden – und das andere auf dem Boden mit echtem Himmel darüber. Und schließlich wäre da noch das Oberklassen-Nobel-Huhn. Das lebt im Bioland. Das Bioland ist dem Hühnerparadies schon sehr ähnlich.
Nobel-Hühner gab es früher nur in Nobel-Boutiquen und Discotheken. Sie sind eingebildet wohlriechend, lecker braun gegrillt, tragen vorzugsweise Handtäschchen von MCM oder PRADA und Schuhe für den Geldwert eines Hartz4-Monats-Einkommens.
Eier legende Nobel-Hühner tragen natürlich keine Handtaschen, sondern ein virtuelles Gütesiegel. Sie unterscheiden sich von den niederen hühnischen Daseinsformen durch die Güte ihrer Nahrung, durch ihre Unterkunft und die daraus resultierende Vitalität und Gesundheit.
Dem Ei ist das aber nicht wirklich anzusehen – zumindest nicht für den Laien. Zumal man das Ei ja in der Schale kauft. Nur am Eierkarton, am Kaufpreis und am Erzeuger-Code kann man es erkennen.
Wer in ausreichendem Maße über finanzielle Mittel verfügt, der hat die freie Wahl. Und je mehr Geld der Eier kaufende Kunde pro Ei investiert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass selbiges von einem emotional ausgeglichenen und gesunden Huhn aus dem hinteren Ende gedrückt wurde.
Die Hühner haben keine Wahl, die müssen ihr Hühnerleben nehmen wie es kommt.
Es ist ja nicht so, dass ein proletarisches Käfig-Huhn nicht in der Lage wäre, im Hühnerparadies sein Dasein zu fristen, gutes Futter zu picken und schöner zu leben. Für ein wohlständiges Hühnerdasein braucht es weder gute Umgangsformen noch Bildung, sondern einfach Glück und den richtigen Stallgeruch.
Das Ein-Euro-Job-Huhn ist wohl nur das tragische Opfer des Menschen, der seine sozialen Strukturen auch bei den Tieren wiederfinden möchte.
Da bliebe noch die Frage, wo in der Welt der Hühner denn die Verantwortlichen, die Politiker und Konzernmanager bzw. die Chef-Eierdealer zu finden wären. Will man George Orwell (Farm der Tiere) Glauben schenken, dann finden sich diese im Schweinestall.

 

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